Familienbande

Manchmal kann die Bestimmung von Vögeln etwas tricky sein. Oft hat man, gerade als Vogelbeobachter-Neuling, nur eine Farbausprägung im Kopf. In den einfach gehaltenen Bestimmungsbüchern für Anfänger wird nämlich meistens nur das auffälligere Prachtkleid abgebildet, höchstens noch das andersfarbige, meist weniger auffälligere Weibchen, wo die Geschlechter unterschiedlich gefärbt sind. Doch, dass es da noch mehr gibt, möchte ich anhand der folgenden Beobachtung aufzeigen.

„Braune Teichhühner“ mit Küken? Freiberg, 2023.

An einem schönen sonnigen Augusttag in 2023 entdeckte ich auf meinem Lieblingsteich ein paar noch recht kleine, nichtflügge, schwarze Küken, die aufgeregt zwei braunen kleineren Wasservögeln hinterherschwammen. Sie bettelten sie immer wieder um Futter an. Ich freute mich zwar über das offensichtlich erfolgreiche Ausbrüten, war aber etwas verwirrt, was die Vogelart betraf. Sie sahen im Profil wie Teichhühner aus, mit dem markant etwas nach oben ragenden Schwanz und der weißen Unterschwanzseite sowie einem dunklen vertikalen Strich darin. Die schwarzen Küken (mit einer rötlichen bis bläulichen Stirn/Kopfoberseite) passten ebenfalls dazu. Aber die Farbe der ausgewachsenen Tiere passte irgendwie nicht zu einem adulten (= erwachsenen) Teichhuhn.

Teichhuhn-Altvogel füttert sein Küken. Freiberg, 2023.

Nach einer kurzen Weile schwamm dann ein typisch blauschwarzer bis braunschwarzer Teichhuhn-Altvogel mit dem markanten knallroten Schnabel und Stirn sowie der gelben Schnabelspitze aus der Deckung der Ufervegetation heraus. Die schwarzen Küken steuerten auch ihn an und hatten hier deutlich mehr Erfolg beim Anbetteln.

Nun, langsam ging mir ein Licht auf, was die braunen Vögel anging. Die oben beschriebenen Merkmale wiesen sie deutlich als Teichhühner aus. Sie waren auch ausgewachsen, wenn man allein von der Größe ausging. Aber sie waren quasi noch in ihrem Jugendkleid. Es ist eine Art Übergangsbefiederung, die nach dem flauschigen Dunenkleid des Kükenalters und vor dem Erwachsenenkleid kommt. Sie waren also sogenannte diesjährige Vögel, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Jahr geschlüpft waren.

Familienbande: Schwarzer Teichhuhn-Altvogel im Prachtkleid im Vordergrund, Teichhuhn im braunen Jugendkleid und schwarze Teichhuhn-Küken im Hintergrund. Freiberg, 2023.

Da ich hier nur einen Altvogel sah und auch sonst in der Vergangenheit nie mehr als zwei erwachsene Teichhühner auf diesem Teich beobachtet hatte, stammten die beiden Jugendlichen aller Wahrscheinlichkeit nach von denselben Alttieren (wo auch immer das zweite abgeblieben war). Das hieß, ich hatte hier einen Beleg dafür, dass Teichhühner mehrmals im Jahr brüten können. Nun, das war mir neu.

Ausgewachsenes Teichhuhn im Jugendkleid versucht sein Geschwisterchen zu füttern bzw. wird von diesem angebettelt. Freiberg, 2023.

Besonders bemerkenswert fand ich das beobachtete Verhalten. Sowohl der jugendlichen Teichhühner als auch der Küken. Denn die noch recht jungen schwarzen Federbällchen bettelten auch ihre offenbaren Geschwister(!) um Futter an. Warum sie das taten, kann ich nicht sagen, das ist tiefere Verhaltenspsychologie. Vielleicht weil sie sie als die ihrer Art-Angehörige erkannten und einen ausgeprägten Bettelinstinkt hatten, sprich alles anbettelten, was wie ein Teichhuhn aussah. Oder aber die ausgewachsenen Jungtiere pflegten zum Zeitpunkt des Schlupfes der zweiten Brut noch eine starke Nähe zu ihren Eltern, so dass die jungen Küken sie als Bezugsfiguren wahrnahmen (bei uns Menschen wäre das das Pendant zu einer Bezugsperson).

Aber auch die ausgewachsenen Jungtiere legten ein interessantes Verhalten an den Tag. Ich konnte beobachten, wie sie gelegentlich versuchten, die Küken zu füttern. Wobei die Betonung auf versuchen liegt. Die großen Geschwister wirkten im Gegensatz zu dem Altvogel eher verunsichert und irritiert über die doch recht enthusiastischen Bettelversuche der Küken.

Dass Vögel durchaus mehrmals im Jahr brüten können, war mir vor allem eher von einigen Singvögeln bekannt. Nach ein paar Recherchen fand ich heraus, dass auch verschiedene Wasservögel wie Rallen und Enten, aber auch andere Vögel wie Tauben mehrere Bruten im Jahr großziehen können. Es gibt auch noch ein paar wenige mehr, aber die aufgezählten sind die häufigsten Gruppen. Natürlich ist das stark abhängig vom Nahrungsangebot und den Witterungsverhältnissen. Zum Beispiel können ein kühler Sommer und eine starke Nahrungskonkurrenz weitere Brutversuche verhindern bzw. die Bruterfolge stark schmälern.

Wann ist ein Vogel flügge? Wenn er ausgewachsen, flugfähig (bei flugfähigen Arten) und selbstständig ist, unabhängig davon ob er Nesthocker oder Nestflüchter ist. Das heißt, dass z.B. umherschwimmende Entenküken als nicht-flügge gelten, da sie noch nicht fliegen können.

Das Jugendkleid tragen Vögel zwischen dem Dunenkleid der Küken und dem ersten Erwachsenenkleid. Vögel mit dieser Übergangsbefiederung sind v.a. im Sommer und Herbst des Jahres, wo sie geboren wurden, zu beobachten. Da die Mauser in die adulte Befiederung nicht mit einem Schlag erfolgt und dann ein „gemischtes Muster“ entstehen kann, kann dies bei der Ermittlung der genauen Art mitunter zu Verwirrungen führen. Man sollte bei der Bestimmung daher immer die Jahreszeit berücksichtigen.

Brutpflege durch Verwandte oder andere Artgenossen ist in der Vogelwelt nicht sehr weit verbreitet. Man geht von ca. 8% der Vogelarten aus /1/, die die Elterntiere unterstützen. Solche sogenannten Bruthelfer kommen bei sehr unterschiedlichen Vogelarten vor. Am bekanntesten sind vermutlich die Kaiserpinguine, die regelrechte Kindergarten bilden. Evolutionär betrachtet ist es ein bedeutender Vorteil. Bei der Brutpflege durch ältere Geschwister z.B. werden die jugendlichen Vögel so schon einmal an das Brüten herangeführt bzw. gewöhnt, ohne selbst brüten zu müssen. Unsicherheiten werden damit abgebaut und die Wahrscheinlichkeit eines Bruterfolges bei der ersten eigenen Brut deutlich erhöht.

Wann gilt eine Brut als erfolgreich? Ein Ausbrüten der Eier und der Schlupf von Küken ist noch keine Garantie für das Überleben. Daher spricht man erst von einer erfolgreichen Brut, wenn die Jungvögel ausgewachsen und selbstständig sind.


/1/  Cockburn, A. (2006): Prevalence of different modes of parental care in birds. - Proceedings of The Royal Society B, 273. https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2005.3458